Hörproben
CD 2002
Aufnahme selten gespielter Kompositionen

Niels W. Gade (1817–1890)
Aquarelle op. 19
Idylle op. 34
Robert Schumann (1810–1856)
Allegro op. 8 in h-moll
Béla Bartók (1881–1945)
Improvisationen über ungarische Bauernlieder op. 20
Edvard Grieg (1843–1907)
Norwegische Tänze op.35

Hörbeispiele:

1. Gade - Scherzo (mp3) [680 KB]

2. Schumann - Allegro op.8 (mp3) [820 KB]

3. Bartok - allegro molto (mp3) [647 KB]

4. Bartok - Allegretto (mp3) [565 KB]

5. Grieg - allegro marcato (mp3) [809 KB]

6. Grieg - Allegretto tranquillo (mp3) [796 KB]

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2002 erschien die CD mit selten gespielten Kompositionen von Niels W. Gade, Robert Schumann, Béla Bartók und Edvard Grieg. Die Presse schreibt: “...auf dieser CD beeindruckt die Pianistin durch ihre technische Perfektion, eine zauberhaft lyrische Stimmung und ihr sensibles Gespür für differenziert rhythmische Klangbilder bei diesen doch zu unrecht so selten gespielten anspruchsvollen Kompositionen.”

Niels W. Gade (1817 – 1890)
Aquarelle op. 19
1. Elegie 2:03
2. Scherzo 1:00
3. Canzonette 1:24
4. Humoreske 1:17
5. Barcarole 1:23
Idylle op. 34
6. Im Blumengarten 3:11
7. Am Bache 1:40
8. Zugvögel 2:37
9. Abenddämmerung 2:00

Robert Schumann ( 1810 – 1856 )
10. Allegro op. 8 in h-moll 10:38

Béla Bartók ( 1881 – 1945 )
Improvisationen über ungarische Bauernlieder op. 20
11. Molto moderato 1:16
12. Molto capriccioso 1:13
13. Lento rubato 2:00
14. Allegretto scherzando 0:50
15. Allegro molto 0:58
16. Allegro moderato,
molto capriccioso 1:34
17. Sostenuto rubato 2:09
18. Allegro 2:02

Edvard Grieg ( 1843 – 1907 )
Norwegische Tänze op.35
19. Allegro marcato 7:06
20. Allegretto tranquillo e grazioso 2:11
21. Allegro moderato alla marcia 3:12
22. Allegro molto 6:33

Gade, Schumann, Bartók, Grieg – kein Zusammenklang auf Anhieb. Erst näher betrachtet findet sich Gemeinsamkeit: alle vier Meister lassen in ihrem Werk schöpferische Auseinandersetzung mit einer Welt erkennen, die Robert Schumann selbst als „den Volkston“ bezeichnet. Dieser eher locker gesponnene Leitfaden mag als verbindendes Merkmal dieser so unterschiedlichen Komponisten empfunden werden.
Stilbildend für das Schaffen Niels Wilhelm Gades ist zunächst die starke Verbundenheit mit der deutschen Romantik und vor allem den Werken Mendelssohn-Bartholdys und Schumanns. Bereits Zeitgenossen rühmten seiner Musik aber auch einen „nordischen Ton“ nach, der sie vor der Gefahr bloßen Epigonentums schützt: „Was Gade groß gemacht hat, ist,“ schreibt Philipp Spitta, „daß er die nach Dänemark seit Jahrhunderten eingeströmte Kunstmusik völlig mit nationaler Empfindung durchtränkte.“ Ohne originär folkloristisches Material zu nutzen, stellt Gades Klangsprache somit eine eigenständige Mischung aus zeitgemäßer Satztechnik und nationaler Eigenart dar.
Dies trifft auch auf die hier eingespielten Klavierzyklen Aquarelle op.19 und Idylle op.34 zu: erinnern bildhafte Titulatur und formale Konzeption durchaus an Klavierzyklen Robert Schumanns, so setzen sie sich gegen über diesen durch eine schlichtere, gelassene und fast klassisch strenge Klangsprache deutlich ab. Mitunter lassen melodische oder harmonische Gesten (etwa in der Humoreske op.19,4) Anklänge an skandinavischeTanzweisen ahnen, wie sie später für Grieg charakteristisch.

Hatte Robert Schumann, Gades Freund und Förderer, des öfteren Stücke „im Volkston“ komponiert (etwa die gleichnamigen Stücke für Violoncello und Klavier oder im Album für die Jugend), so ist das Allegro op.8 aus gänzlich anderen Motiven entstanden. Hier lässt sich der Komponist nicht von der im frühen 19. Jahrhundert aufkommenden Idealisierung des Volksgutes leiten, die auch im Sammeln von Märchen und Reimen, Bildwerken und Melodien zum Ausdruck kam, sondern von seiner Verehrung gegenüber der musikalischen Klassik. Das Allegro war ursprünglich als Kopfsatz einer Sonate konzipiert; tatsächlich weist das Stück mit seinen zwei Themen und im formalen Verlauf derartige Merkmale auf. Ein Tonchiffren-Signal („h-cis-fis“), weitschweifige Harmonik und metrisch frei notierte Passagen weiten die tradierte Sonatenform jedoch derartig aus, daß dieser Ursprung im Ansturm der Einfälle verweht – vielleicht innerlich Beethovens Phantasie H-dur op.77 eng verwandt.
Stärker noch ist der Ausdruck ungebundenen Phantasierens in den Improvisationen über ungarische Bauernlieder op.20 von Béla Bartók. Der Komponist, der sich als Sammler unzähliger Volksmelodien großes Verdienst um die Erforschung der Folklore Ungarns und seiner Nachbarvölker erwarb, nutzte in unterschiedlicher Weise diese Forschungsergebnisse in eigenen Tonschöpfungen. Als gefragter Pianist schrieb er viele Werke zu eigenem Gebrauch, und die Improvisationen op.20 kann man als einen Versuch begreifen, mit Volksmelodien spielerisch frei zu musizieren und diese – momentanen und spontanen – Gestalten nachträglich zu fixieren. Dabei sind die insgesamt acht Sätze zu vier Gruppen (nämlich 1-2, 3-5, 6 und 7-8) mit fast unmerklich fließenden Übergängen zusammengefaßt. Quellen der Folklore und Elemente avantgardistischer Atonalität finden zu einer Synthese, die für zahlreiche Folgekompositionen Bartóks wegweisend wurde.

Ganz anderen Umgang mit Musik seiner Heimat pflegte Edvard Hagerup Grieg. Für ihn, einen Schüler Gades, war Volksmusik nicht wissenschaftliches Forschungsgebiet, sondern unmittelbare Inspirationsquelle, die zu eigenen Schöpfungen „im Volkston“ einlud. Die Norwegischen Tänze op.35 zählen zu Griegs populärsten Werken dieses Genres: in der Fassung für Orchester ebenso wie in der Originalversion für Klavier zu vier Händen sind sie zu einem Standardwerk des Repertoires geworden. Die ebenfalls von Grieg stammende Version für Soloklavier ist wohl der Absicht des Komponisten zuzuschreiben, die farbenreich angelegte Musik für die Möglichkeiten eines Solisten anspruchsvoll zu konzentrieren. Dabei verliert sie jedoch nichts von ursprünglichem Charme und Leben.

Dirk Lötfering


© Athina Poullidou